Der große Rüde trägt stolz seine Beute, einen Stock, auf dem Spaziergang mit. An allen Stellen, an denen er intensiver schnuppert, wird der Stock abgelegt und nachher wieder mitgenommen. Ein anderer Hund versucht, die Beute zu „stehlen“ und kassiert dafür einen entsprechenden Kommentar des „Stockbesitzers“ . „Ist der aber aggressiv…“ wird sein Halter kopfschüttelnd getadelt…….

Frau YZ ist mit ihrer Mutterhündin und den Welpen auf einem Entdeckungsausflug im Park, die Kleinen toben auf der Wiese. Von weitem nähert sich ein ungestümer Junghund, springt mitten in die Welpenschar und rennt sie über den Haufen. Knurrend fährt die Mutter auf ihn los und vertreibt ihn, er flüchtet jaulend. „…ist die aber aggressiv….“

Diese beiden Beispiele zeigen sehr deutlich, wie spontan und angemessen unsere Hunde in sogenannten Konfliktsituationen reagieren. Ohne „lange zu überlegen“ verteidigen sie, was ihnen wichtig – und regeln, was nötig ist: „Schnauze weg von meinem Eigentum“, bzw. „Hau ab du Rüpel, du störst.“

Natürliche Verhaltensweisen des Hundes, die der Regelung des sozialen Zusammenlebens dienen, werden leider oft falsch und undifferenziert als „Aggression“ und „aggressiv“ bezeichnet. Eine Gleichsetzung von Aggression mit Gefährlichkeit ist ebenso falsch, wie die Gefährlichkeit eines Hundes an seiner Körpergröße oder Rasse festzumachen. Hunde kommunizieren sehr klar und verständlich miteinander und was den Menschen als „aggressiv“ auffällt, ist nichts anderes als Konfliktlösung ohne Beschädigungsabsicht. Vorausgesetzt, der Welpe hatte die Möglichkeit, alle Signale zu erlernen.

Solche Aktionen zweier Hunde sorgen aber immer wieder für Zündstoff zwischen deren Haltern. Bei dem einen, weil sein Hund „angegriffen“, beim anderen, weil sein Hund zu Unrecht beschimpft wurde: „Ihrer wollte ja das Stöckchen haben…“

Ich möchte hier ein weiteres Beispiel anführen:

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen bei Ihrem Lieblingsitaliener, vor Ihnen auf dem Tisch steht Ihre bevorzugte Pizza, auf die Sie sich schon lange freuen. Sie schneiden sie gerade an, da steckt der Gast vom Nachbartisch seine Gabel in den Teig und zieht Ihnen die Pizza vom Teller. Wie reagieren Sie??

Ich glaube nicht, dass Sie dem Mitesser Ihr Abendessen so einfach, ohne wenigstens zu protestieren überlassen, oder täusche ich mich?? Sehen Sie, Sie verteidigen Ihr „Eigentum“, wenn es auch nur durch ein empörtes „Heh, was soll das?“ geschieht.

Warum darf ein Hund nicht, was für uns selbstverständlich ist? Warum darf der Mensch dem Pizzadieb auf die Finger hauen, der Hund sein Spielzeug aber nicht verteidigen?? Warum darf eine Frau einem zudringlichen Mann ganz klar seine Grenzen zeigen und die Umwelt hat Verständnis, aber eine Hündin, die einen zu dreisten Rüden androht, wird als aggressiv angesehen?? Eine Mutter, die sich verständlicherweise energisch verbittet, dass Hinz und Kunz die Hände nach ihrem Kleinkind ausstreckt, wird doch auch nicht als „gestört und aggressiv“ bezeichnet. Aber eine Hundemutter, die sich schützend vor ihre Welpen stellt und den unsensibel nach ihnen grapschenden „…sind die nieieiedlich…“ Zweibeiner warnend anknurrt, wird bestraft.

Ich frage mich wohl nicht zu Unrecht: Wo bitte liegt da der Unterschied?? Nur weil das eine Menschen und das andere „nur“ Tiere sind, die sowieso als unberechenbar gelten??

Noch einmal: Aggressionsverhalten gehört zum normalen Kommunikationsrepertoire unserer Vierbeiner. Im Normalfall ist eine aggressive Interaktion zwischen zwei Hunden eine Sache von wenigen Sekunden, dann ist der Spuk vorbei. Und im Gegensatz zu uns Zweibeinern, ist bei den Vierbeinern die Sache damit aus der Welt. Jeder geht seines Weges und gut ist es. Auch beim nächsten Treffen geschieht nichts, es sei denn, es ist wieder ein Stock des Anstoßes da, der unrechtmäßig den Besitzer wechseln soll. Oder ein junger Wilder, der die Welpen aus lauter Ungestüm durcheinanderwirbelt.

Aggressionsverhalten hat immer einen Auslöser, auch wenn er uns entgeht. Das kann die aktuelle Situation, aber auch eine lange zurückliegende Erfahrung sein. Die Handlungsbereitschaft ist von Hund zu Hund und von Situation zu Situation unterschiedlich. Aber es ist immer eine klare, angemessene Ansage, mit der der „Diskussionspartner“ etwas anfangen kann. Wiederum im Gegensatz zu uns Menschen, die wir oftmals eine unangemessene, der Situation nicht angepasste Überreaktion zeigen. Und obendrein danach noch stunden- oder tagelang unseren Ärger pflegen…..