In einem Tierheim sitzt Joana. Sie ist zwölf Jahre alt, sehr schlank, ihr Fell ist grau und rau. Früher mag sie eine Schönheit gewesen sein. Sie wurde von ihrem Menschen – einem Tierarzt – zwangsumgesiedelt, weil sie nicht mehr repräsentabel genug für die Rezeption seiner Praxis war….

Auf dem Spaziergang kommt mir eine ältere Frau raschen Schrittes entgegen. Zehn Meter hinter ihr schleicht ein Jack Russell. Terrier. Auf meiner Höhe dreht sie sich um und ruft: „Komm schon“, wendet sich dann mir zu und erklärt: „Wissen Sie, der ist schon alt.– Na nun komm schon endlich“. Dann läuft sie weiter, ohne auf ihren vierbeinigen Senior zu warten…..Wie würde sie sich wohl fühlen, wenn sie eines Tages nicht mehr so gut zu Fuß ist und ihre Kinder oder Enkel laufen ihr davon, ohne sich nach ihr umzudrehen? Und wenn doch, dann nur um ungeduldig zu rufen: „ Komm schon Oma, stell dich nicht so an….“

In unserem Hundeauslaufgebiet traf ich lange ab und zu eine junge Frau. Sie hatte immer drei, vier junge Podencas und einen alten Mischlingsrüden dabei. Mit der Zeit wurden ihre Spaziergänge immer kürzer und langsamer, weil der alte Herr zwar noch tapfer mitlief, aber eben nicht mehr so weit und nicht mehr so schnell. Man sah ihm das Alter auch körperlich an. Aber er hatte trotz aller Einschränkungen noch Lebensfreude, auch das war ihm anzusehen. „Er darf in Würde alt werden,“ meinte ich bei einer unserer Begegnungen. Daraufhin erzählte sie mir, wie oft sie angegiftet wird, weil sie den Senior nicht endlich „erlösen“ würde….. Einige Tage nach diesem Gespräch verabschiedete er sich von selber ….

Unsere Hunde begleiten uns, wenn sie als Welpen bei uns einziehen, im Durchschnitt 10 – 15 Jahre. Sie teilen so ziemlich alles mit uns: Freude, Trauer, Angst, Krankheit, Stress und so weiter. Solange sie jung und agil sind, macht es uns auch keine Mühe, mit ihnen umzugehen, schließlich können wir sie überall hin mitnehmen. Sie können, falls gelernt, problemlos allein bleiben. Stundenlange Spaziergänge werden mühelos bewältigt, Hundesport bestens verkraftet. Der Vierbeiner ist beweglich, saust die Treppen rauf und runter, springt mit einem Satz in den SUV und wieder heraus, ist (fast) nie krank, scheint keinen Schlaf zu brauchen…..

Und dann kommt es, das Alter. Scheinbar von heute auf morgen lassen die Aktivitäten nach. Aber es ist ein langer Prozess, der von uns nicht wahrgenommen wird, vergleichbar mit der nachlassenden Sehkraft unserer eigenen Augen. Die nehmen wir auch erst dann bewusst wahr, wenn die Arme zum Lesen der Speisekarte zu kurz und die Buchstaben zu klein sind….

Die ersten Auffälligkeiten begegnen uns auf dem Spaziergang: Unser Hund spielt vielleicht nicht mehr so viel wie letzte Woche noch oder er trottet nach der halben Runde oder auf dem Rückweg nur noch vor uns her.

Alter hat viel Facetten: Vielleicht mag er bei schlechtem Wetter nicht mehr so gerne raus, vielleicht mag er nicht mehr gerne allein sein. Vielleicht reagiert er auf einmal ängstlich auf z.B. Gewitter oder Silvesterfeuerwerk. Alles Dinge, die bisher kein Problem darstellten.

Oder die Spaziergänge werden aufgrund eingeschränkter Beweglichkeit streckenmässig kürzer und zeittechnisch länger…. Extreme Temperaturen und deren Schwankungen werden nicht mehr so gut weggesteckt…..

Egal was, der Mensch muss jetzt in dieser Situation entsprechend reagieren. Und damit meine ich nicht den so oft gebrauchten Satz:„Da muss er jetzt durch. Das ist nicht zu ändern“. Nein, ich meine damit, dass ich mein Leben etwas umstellen und auf die Bedürfnissen meines Seniors eingehen muss. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, ihn auf das Altenteil abzuschieben und überhaupt nichts mehr mit ihm zu unternehmen, ihn nach allen Regeln der Kunst zu bedauern und von allem fernzuhalten. Oder nur noch zu verhätscheln und keine Aufgaben mehr zu stellen. Was der Hund im Seniorenalter noch zu leisten vermag, sollte er auch leisten dürfen.

Wie körperlich fit und geistig rege er noch ist, hängt neben der genetischen Disposition auch davon ab, wie wir bisher mit ihm umgegangen sind. Ich kenne einige Senioren, die noch „voll im Leben“ stehen.

In diesem Zusammenhang bleibt mir auch die damals achtjährige Chiara im Gedächtnis, die zum Spaß im Agility trainiert wurde. Sie erkrankte schwer an Toxoplasmose, erholte sich und wurde danach geschont. Kein Agility-Training mehr, nur noch Spaziergänge….. Chiara wurde richtiggehend depressiv. Die Halter nahmen die Veränderung wahr und begannen wieder, sehr vorsichtig mit ihr zu trainieren. Die Hündin blühte sichtlich auf und durfte elfjährig, immer noch über den Steg laufen oder ganz kleine Sprünge nehmen, wenn sie mochte…..

Mit dem Alter kommen unweigerlich auch die Wehwehchen und die Tierarztpraxis wird für manchen Hund zum Dauerausflugsziel. Das ist vielleicht für den einen oder anderen Hundehalter schon mal ein Grund, darüber nachzudenken, „ob es sich noch lohnt, denn er ist ja auch schon zehn…..“– „……ob man sich die Tierarztkosten noch leisten kann. Schließlich steht ja der Urlaub vor der Tür.“

Fairerweise muss es heißen: „Ich hatte all die Jahre so viel Freude mit meinem Hund, jetzt lasse ich ihn nicht im Stich“ Diese Einstellung steht für alles, was der Hund seinem Menschen wert sein sollte und bedarf keiner Erklärung….

Natürlich sprengen je nach Erkrankung und Behandlungskosten viele Tierarztrechnungen manches schmale Haushaltsbudget. Aber da wären wir wieder bei der Überlegung, bevor ein Hund in den Haushalt einzieht: kann ich mir überhaupt einen Hund leisten? Aber wo ein Wille ist, gibt es (meistens) auch einen Weg.

Aber jeder Weg ist irgendwann irgendwo einmal zu Ende.

Für uns Menschen ist es schwer, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass der langjährige Weggefährte sich verabschieden möchte oder muss. Loslassen tut weh und ist nicht unbedingt unsere menschlichste Stärke. Ich erinnere mich an eine sehr alte hinfällige Tervueren-Hündin, die von ihrer Halterin über alles geliebt wurde. Sie nahm die Gelegenheit wahr zu gehen, als diese im Urlaub war….

Wenn es dann doch soweit ist und der Tierarzt nachhelfen muss, sind Sätze wie:

„Da kann ich nicht dabei sein“ – „…überall, aber nicht zuhause..“ fehl am Platz. Und noch feiger ist es, seinen Freund in die Tierarztpraxis zu bringen und sich dann zu verdrücken….
Ich kann nur noch einmal wiederholen: Fairerweise muss die Einstellung heißen:

„Ich hatte all die Jahre so viel Freude mit meinem Hund, jetzt lasse ich ihn nicht im Stich.“ Erweitert um die Worte: „ …und gehe Deinen letzten Weg mit Dir…“

Wie oben schon erwähnt, begleiten uns unsere Hunde in der Regel ein Jahrzehnt oder länger. Es sind aufregende Zeiten, je nach Lebensabschnitt fordern sie uns Menschen ganz ordentlich, wenn ich nur an die Sturm- und Drangzeit in der Jugend denke.

Dann kommt die halbwegs gemäßigte Zeit, wenn der Vierbeiner erwachsen ist, die unmerklich in eben den ruhigen, abgeklärten Abschnitt übergeht.

Das Zusammenleben mit dem älter gewordenen, lebensweiseren Hund ist einfach schön. Weder er noch der Mensch müssen sich oder dem andern noch etwas beweisen. Alle Diskussionen um größere Ungereimtheiten sind ausgestanden, es bleiben vielleicht noch kleinere Reibereien. Aber im Gesamten sind Hund und Mensch zu einer Einheit geworden, gemeinsam gereift an ihren Aufgaben. Zusammengeschweißt durch gemeinsames Erleben.

© by Petra Thoma